über einen neuen namen.
aus dem psychologie heute-blog 'der psychologische blick'.
Ich habe meinen Namen ändern lassen. Nun heiße ich auch offiziell Jule Specht. Nicht nur wie bisher für Freunde, Kolleginnen und die Öffentlichkeit, sondern so steht es jetzt auch im Pass. Damit passt nun mein Identitätsgefühl zu meiner offiziellen Identität. Und eine unkonventionelle anti-aging-Maßnahme ist das außerdem, denn mein verkürzter Vorname ist deutlich jünger als ich. Insofern kann ich Baptiste Coulmont nur zustimmen, wenn er schreibt: „Name changes are good examples of identity changes.“
Ich habe meinen Namen ändern lassen. Nun heiße ich auch offiziell Jule Specht. Nicht nur wie bisher für Freunde, Kolleginnen und die Öffentlichkeit, sondern so steht es jetzt auch im Pass. Vorher habe ich etwa zwei Jahre lang abgewogen. Bis ich dann im Dezember mit einem Lieblingsfreund auf Gran Canaria war, wir aufs Meer schauend die Argumente wälzten und er schließlich feststellte, dass er wohl vor einer Namensänderung zurückschrecken würde, es aber zu mir passt, das durchzuziehen, was ich für richtig halte. Stimmt. Und so wurde ein Neujahrsvorsatz noch vor dem Frühlingsanfang in die Tat umgesetzt.
Einfach ist das nicht, denn das Recht auf Vornamensgebung liegt bei den Eltern. Zum Glück kann ein mehrseitiges Begründungsschreiben den zuständigen Mitarbeiter beim Standesamt überzeugen. Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl bei einer so persönlichen, identitätsstiftenden Angelegenheit wie dem eigenen Namen vom Wohlwollen anderer abhängig zu sein. Konflikte zwischen dem eigenen Identitätsgefühl und der offiziellen Identität riskieren nämlich eine identity confusion. Diese wiederum kann nach Theo Klimstra und Lotte van Doeselaar eine ernste psychische Belastung werden.
Als die Mitarbeiterin im Bürgerbüro mir einen neuen Pass bestellt, fügt sie hinzu, sie hätte bei der Gelegenheit gleich den Nachnamen mit geändert, der sei ja mittlerweile auch irgendwie obsolet. Stimmt einerseits: Schließlich ist es der Nachname einer großen, aber vergangenen Liebe. Aber deshalb nach über zehn Jahren wieder den Mädchennamen annehmen? Was macht das mit einer weiblichen Identität, wenn man vom Nachnamen des Vaters zum Nachnamen des Ehemannes wechselt und sich von beiden emanzipiert? Deshalb andererseits: Der Name gehört zu mir, keine Identitätskonfusion in Sicht, der bleibt.
Wobei, am liebsten wäre es mir ja, es gäbe – wie im öffentlichen Nahverkehr – eine Art Vierfahrten-Karte für die Namensänderung. Man könnte neue Identitäten ausprobieren statt in alten sozialen Rollen festzuhängen und, sollten sich diese bewähren, diese mit einer Namensänderung besiegeln. In einem schönen Artikel im Süddeutsche Zeitung Magazin gibt der Psychologe Dieter Frey allerdings zu bedenken: „Wenn ich die Chance habe, nur ich sein zu dürfen – wäre das ein Dauerzustand, oder hole ich nur bestimmte Defizite nach, die im Alltag zu kurz kommen?“
Eine vorübergehende Identität um Defizite auszugleichen? Gern, ich sprühe nur so vor Defiziten, die ich gern mal überwinden würde. Und so sitze ich mit Max, einem Freund, in einer Kreuzberger Bar und designe neue Identitäten. Später traue ich mich dann aber doch nicht diese auszuprobieren. Für die Vornamensverkürzung reicht der Mut jedoch noch. Und obwohl mir dieses Bedürfnis individuell vorkommt, ist es das nicht. Laut Baptiste Coulmont gibt es vor allem drei Gründe dafür: (1) Anpassung an eine neue Kultur, (2) Anpassung an eine neue geschlechtliche Identität und (3) Verjüngung.
Tatsächlich wurde mein neuer Name erst 10 Jahre nach meiner Geburt populär. Kein Einzelfall, wie Coulmont zeigt: Die neuen Namen sind im Mittel etwa 25 Jahre jünger als die ursprünglichen Namen. Eine Art anti-aging-Maßnahme für die Identität, könnte man sagen. Das ist natürlich nur ein kleiner Aspekt des Namensänderungsbedürfnisses, aber ein interessanter, da ich mir doch oft zu alt für mein Alter vorkomme. Nun aber nicht mehr, schließlich hat kürzlich auch ein Lieblingskollege eine Tochter mit dem Namen ‚Jule’ bekommen. Ich bin namenstechnisch ganz offensichtlich im Jetzt angekommen.
Zum Weiterlesen
- Baptiste Coulmont (2014). Changing one’s first name in France: A fountain of youth?. Names, 62, 137-146.
- Theo A. Klimstra und Lotte van Doeselaar (im Druck). Identity formation in adolescence and young adulthood. In J. Specht (Editorin), Personality development across the lifespan. San Diego: Elsevier.
- Susanne Schneider (2017). Wer ich wäre. Süddeutsche Zeitung Magazin, 4.
Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.