Die Angst grassiert. Selten hat sich ein Gefühl der Angst so schnell und weit verbreitet wie nach den jüngsten Anschlägen in Paris. Zur gleichen Zeit wird die Angst, die sich mit Wucht in den Alltag der Menschen gedrängt hat, einhellig als zu bekämpfendes Übel angesehen. Aber ist diese Angst wirklich unangepasst?


Die Angst grassiert. Selten hat sich ein Gefühl der Angst so schnell und weit verbreitet wie nach den jüngsten Anschlägen in Paris. Der Tagesspiegel titelt schon wenige Stunden nach den Attentaten ‚Paris in Angst‘ und liefert dazu eine besorgniserregende Chronik des Grauens. Auch eine Woche danach bleibt Paris für die Süddeutsche Zeitung die ‚Stadt der Angst‘ und es wird kein schnelles Ende dieses Zustands prophezeit. Ebenso erkennt die FAZ eine tiefsitzende ‚Angst in der Stadt der Liebe‘, ersichtlich an den leergefegten Straßen, Plätzen und anderen öffentlichen Orten.

Zur gleichen Zeit wird die Angst, die sich mit Wucht in den Alltag der Menschen gedrängt hat, einhellig als zu bekämpfendes Übel angesehen. Das Weiße Haus twittert sogar, die mächtigste Maßnahme sei nun, zu zeigen, dass man keine Angst habe. Auch in Deutschland wird eine Abkehr von der Angst propagiert. Die tazruft dazu auf, um die Freiheit im öffentlichen Raum zu erhalten und auch der Stern argumentiert, Angst sei die falsche Antwort auf die Anschläge. Während in der Zeit hoffnungsvoll stimmende Anekdoten darauf hindeuten, wir hätten keine Angst, überführt die Welt dann doch die Lüge in ‚même pas peur‘.

Die kollektive Angst scheint dysfunktional, zumindest suggeriert das die klaffende Lücke zwischen dem vorherrschenden und dem anscheinend allseits empfohlenen Gemütszustand. Aber ist diese Angst wirklich unangepasst? Aus psychologischer Sicht scheint es sich nicht um eine akute Angst zu handeln, für eine Emotion dauert sie schlichtweg zu lang an. Es scheint sich auch um keine pathologische Form der Angst zu handeln, da schon allein ihre Verbreitung gegen ein normabweichendes Einzelphänomen spricht. Vielmehr scheint es zu einer kollektiven Verstärkung der Ängstlichkeit, einer Facette des Neurotizimus, gekommen zu sein.

Diese Ängstlichkeit ist damit ein Aspekt der Persönlichkeit. Sie beschreibt, wie stark eine Person zu angstbezogenen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen neigt. Charlotte Roche beschrieb das eindrücklich mit den Worten: ‚Ich denke einfach, ich muss gewappnet sein für das Schlimmste, was passieren kann.‘ Selbst wenn alles gut scheint, denke sie ‚ja, schon gut, aber wir wollen uns nicht zu sehr entspannen, weil nachher kommt das Schicksal‘. Ängstliche Menschen sind erst dann beruhigt, wenn sie neben einem Plan A und B, zumindest noch einen Plan C in der Hinterhand haben.

Selbst eine hohe Ängstlichkeit kann gesund und angepasst sein. Aber natürlich provoziert sie unangenehme Gefühle, geht mit vielen Sorgen und geringem Wohlbefinden einher. Reicht das, um eine geringere Ängstlichkeit zu empfehlen? Um damit den Erfolg der Attentäter zu schmälern? Um damit den Erfolg der Attentäter zu schmälern? Oder Überreaktionen zu verhindern, zu denen dann auch irrationale politische Reaktionen zählen dürften, wie die Ausweitung der Überwachung? Zum Glück spielt uns dabei zumindest langfristig die Zeit in die Hände: Mit dem Alter mindert sich nämlich im Allgemeinen der Neurotizismus und darüber hinaus erwartet Borwin Bandelow, Präsident der Gesellschaft für Angstforschung, dass sich der Mensch mit der Zeit auch an die Terrorangst gewöhnen wird.

Die Angst ist da, das lässt sich kaum leugnen, auch wenn man es sich vielerorts anders erhofft. Gleichzeitig scheint es aber keine pathologische, sondern eine vorübergehende Angst zu sein, die durchaus funktional sein kann. Negative Ereignisse kommen selten allein, sondern treten leider meist gehäuft auf. Der Mensch passt sich daran an, in dem er sich in eine Habachtstellung begibt. Diese gesteigerte Ängstlichkeit hat sich in empirischen Studien bereits als funktional erwiesen, weil sie uns dazu drängt, für uns Sorge zu tragen. Wir sollten diese Form der vorübergehenden Ängstlichkeit deshalb zulassen.

Zum Weiterlesen

  • Headey, B., & Wearing, A. (1989). Personality, life events, and subjective well-being: Toward a dynamic equilibrium model. Journal of Personality and Social Psychology, 57, 731-739.
  • Roberts, B. W., Smith, J., Jackson, J. J., & Edmonds, G. (2009). Compensatory conscientiousness and health in older couples. Psychological Science, 20, 553-559.

Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.